Wurst mit Flügeln. Über Jaromir Konecny

Manchmal passt es einfach. In einer der zahlreichen Bierlachen, die den Tresen im Münchner „Substanz“ in eine Seenlandschaft verwandelt, schwimmt ein Päckchen mit Zigarettenpapier; darauf steht ein tschechisches Sprichwort: „Wenn du glaubst, du hast das Glück, dann zieht das Glück den Arsch zurück.“
Auf der Bühne steht Jaromir Konecny und liest eine seiner Geschichten vor. Stoisch, konzentriert und mit unnachahmlichem böhmischen Akzent läßt er seinen Helden, einen tschechischen Immigranten, durch den deutschen Alltag stolpern, läßt ihn verzweifeln an der bayerischen Befindlichkeit, an Standesdünkel und Amtswillkür, aber auch am Sex, am Essen, am Leben in der Fremde. Konecny weist seinem Protagonisten keinen Weg, er schubst ihn herum, schmeißt ihn in den Dreck, hilft ihm wieder auf, aber nur, um ihn sofort ins nächste Schlamassel zu schicken. Immer auf der Suche nach einem Zipfel vom Glück.
Und das Publikum, knapp 400 sind es auf dem heutigen Slam, kann beinahe nicht mehr vor Lachen. Ein Schauspiel: Da kommt ein 48jähriger Exiltscheche und zeigt den selbsternannten Underground-Poeten, die seine Kinder sein könnten, wie es geht. „Kein Wunder, dass Konecny so oft bei slam poetrys gewinnt“, meint ein Kritiker der SZ, „bei manchen seiner Geschichten ist es, als führe Mr. Bean selbst die Feder.“ In der Tat ist Scheitern selten lustiger beschrieben worden, aber das allein reicht nicht als Erklärung. Hier weiß ein Autor ganz genau, was er tut und wovon er schreibt. Zu unbestechlich ist sein Blick, zu sprachmächtig seine Prosa.
Im Nebenberuf betreibt Konecny ein Antiquariat, wie ein Besessener hat er sich durch die Weltliteratur gelesen, und das merkt man. Er beherrscht die ganze Palette: Nicht nur die knappe, reduzierte Lakonie, wie sie etwa Wladimir Kaminer (erst notgedrungen, später als Stilmittel) für seine Komik einsetzt, sondern auch die pralle, schier überbordende Bildsprache eines Bohumil Hrabal oder Jaroslav Seifert.
Dabei ist die Geschichte von Konecnys Literaturinitiation eine andere, eine schöne: 1956 in Prag geboren, verbringt er eine eher bücherlose Kindheit in der nordmährischen Industriestadt Ostrava, besucht eine Chemie-Fachschule, geht als Metallarbeiter nach Libyen, arbeitet als Schiffsmeister auf der Elbe und setzt sich schließlich 1982 in von einer „Europa-Rentnerreise“ ab, um in München zu leben. Erstmal aber sitzt der damalig 26jährige ein Jahr lang in einem Sammellager in Niederbayern und wartet auf Asyl. Des Alkohols und der Langeweile überdrüssig, beschließt er Deutsch zu lernen und fragt nach Büchern. Man bringt ihm eine Kiste mit Hunderten von Bastei-Lübbe-Heften, Horror-Groschenromane die meisten, anhand derer er die fremde Sprache übt. „Für ein Chemie-Studium an der TU hat es gereicht“, erzählt Konecny, sogar für eine Promotion über die Enstehung des genetischen Codes. „Gruselvokabular und Evolutionstheorie schließen sich eben nicht aus.“
Das Lesen und Schreiben hat ihn fortan nicht mehr losgelassen. Sechs Bücher hat Konecny mittlerweile veröffentlicht, allesamt auf Deutsch, und im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung stellt er die Klassiker der „Tschechischen Bibliothek“ auf der Bühne vor. Es ist eine Wonne, sich von ihm den Schweijk vorlesen zu lassen.
Noch besser aber ist Jaromir Konecny, wenn er eigene Texte vorträgt, seinen jüngsten Roman „In Karin“ etwa, der brüllend komischen Liebesgeschichte zwischen einem böhmischen Fleischfresser und einer niederbayerischen Vegetarierin, randvoll mit Verzweiflung und Glück, mit four-letter-words und „Schneeglöckchengeläut“.
Und auch hierzu passt ein tschechisches Sprichwort: „Wenn die Wurst Flügel hätte, gäbe es keinen besseren Vogel.“

© jess jochimsen. zuerst erschienen in: badische zeitung

Jaromir Konecnys Bücher sind im Ariel- und im Ventilverlag erschienen. please join: Jaromir Konecny

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