Weihnachten damals und heute

Sagen wir doch, wie es ist: Weihnachten, das waren mal leuchtende Kinderaugen, Spekulatiusduft und Vorabendserien mit Patrick Bach. Heute herrscht Hektik, Agonie und die Uschiglasierung der Gesellschaft. Und das Schlimmste: Mein Sohn Tom ruiniert mir die festliche Stimmung. Nicht absichtlich natürlich, einfach nur dadurch, dassm er älter wird. Früher hat mich seine kindliche Vorfreude regelmäßig aus der Herbstschwermut gerissen und heute? Es ist Oktober, die Vorweihnachtszeit hat noch gar nicht begonnen und Tom hat mir, wie ein erwachsener Vollprofi, bereits seinen Wunschzettel zukommen lassen – per Email; fehlerlos getippt, mit Preisangaben und den Links zu den Internetshops, bei denen ich seine Sachen bestellen soll (alles so Computerzeugs, bei dem ich von der Hälfte noch nicht mal weiß, was es eigentlich ist).
„Arbeitserleichterung für das Christkind“ nennt man das wohl, und: „So ist eben der Lauf der Dinge.“
Dem füge ich mich, aber ich bin auch ein gnadenloser Melancholiker, und so denke ich gerne an jene Zeit von vor drei Jahren zurück, in der Tom nicht so genau wusste, von wem er die Geschenke eigentlich kriegt. Analytisches, christliches und heidnisches Denken führten einen erbitterten Dreikampf in seinem kleinen Kopf, und das war einfach wunderbar.
„Bringt der Weihnachtsmann allen Kindern die Geschenke?“, wollte er zum Beispiel wissen.
„Ja, Tom, allen Kindern, zumindest denen, die brav waren.“
„Das schafft der gar nicht. Das sind zu viele.“
Doch... das schafft er.“          
„Weißt du, was ich glaube? Der Weihnachtsmann bist in Wirklichkeit du!“
„Ich? Nein, ich würde das wirklich nicht schaffen. Ich muss doch den Baum aufstellen und kochen und mit dir in die Kirche, da hab ich keine Zeit.“
„Letztes Jahr warst du aber nicht mit in der Kirche...“
„Aber dieses Jahr gehe ich.“
„Musst du auch. Weil an Weihnachten ist der Jesus geboren worden.“
„Das stimmt.“
„Wann genau?“
„Äh... abends.“
„Nein, wann das war? In welchem Jahr?“
„Oh... Also im Jahre Null. Und dieses Jahr ist Zweitausendund...“
„So oft hatte der schon Weihnachten?“
„Wenn du so willst.“
„Dann hat der aber schon viele Geschenke bekommen!“
Was habe ich diese Dialoge geliebt.
„Wie oft hatte ich denn schon Weihnachten, Papa?“
„Dies Jahr ist es das sechste Mal.“
„Aber ich bin doch erst fünf.“
„Eben.“
„Versteh ich nicht.“
Es war herrlich, die 24 Türchen des Adventskalenders schaffte Tom spielend, aber bis sechs zu zählen überforderte ihn. Allein die Geschenkfrage ließ ihm keine Ruhe:
„Vielleicht bringt der Jesus ja die Geschenke?“
„Das glaube ich nicht, Tom, der ist doch das Geburtstagskind.“
„Ja, früher. Aber jetzt ist er alt, da gibt er Geschenke ab.“
„Aha. - Und von wem hat er die Geschenke?“
„Vom Weihnachtsmann!“
Es war einfach zu schön. Und jetzt, wo ich mich daran erinnere, wärmt es mir das Herz. Wäre doch gelacht, wenn sich die feierliche Stimmung nicht doch noch einstellen würde. Frohes Fest!


aus: kai könig (hrsg.), josef, mach die musik leiser! von wegen stille nacht, coppenrath-verlag 2010/2023.
in veränderter form auch in: jess jochimsen, krieg' ich schulfrei, wenn du stirbst?, dtv 2012

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