Trinkgeld vom Schicksal. Über Selim Özdogan

Als Tom Liwa, der Sänger der legendären „Flowerpornoes“ vor zwei Jahren im Freiburger Swamp spielte, gab es einen schönen Moment. „Kennt ihr eigentlich den Kölner Autor Selim Özdogan?“, fragte er unvermittelt, und als es still blieb im Saal, schob er nach: „Aber den Film >Im Juli< kennt ihr – typisch Freiburg! Es gibt in Deutschland niemanden, der so wunderbar vom Vögeln erzählen kann wie Selim. Schreibt euch das hinter die Ohren!“
Besser kann man es nicht sagen. In Özdogans letztem Roman „Ein Spiel, das sich die Götter leisten“ heißt es „essen, schlafen, Sex – mehr braucht es nicht“. Doch: Eine gute Geschichte, aber das versteht sich von selbst. Özdogan hat in den letzten zehn Jahren nichts anderes getan, als gute Geschichten zu erzählen, Geschichten von der Straße, vom Verlieren und Wiederfinden, von Menschen, die auf der Suche sind nach einem guten Leben. Und immer wieder von der Liebe in all ihren Spielarten, nie kitschig oder vulgär, wenn es um Sex geht, ohne Pathos, wenn Glück und Unglück verhandelt werden. „Özdogan erzählt Geschichten, die es wert sind, ezählt zu werden“, sagt Tom Liwa. Die FAZ pflichtet bei und nennt sein letztes Buch „ein kleines Wunder“, gelesen haben es freilich nur wenige.
Den Autor ficht das nicht an, er macht einfach weiter. Erfolg hatte er schon. Gleich sein erster Roman „Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“ wird ein Bestseller. Das war Mitte der Neunziger, danach kam die „Popliteratur“, keine fruchtbare Zeit für Geschichten. Özdogan aber macht weiter, legt mit „Nirgendwo & Hormone“ (1996) ein zauberhaftes Road-Movie vor und schreibt mit „Mehr“ (1999) den vielleicht genauesten Roman über das Leben der in Deutschland lebenden Türken der zweiten und dritten Generation. Der Erfolg kehrt zurück mit „Im Juli“, wobei Özdogan nicht müde wird, zu betonen, dass das nicht seine Geschichte sei. „Ich habe nur das Buch zum Film geschrieben“, sagt er und hat einerseits natürlich Recht damit. Erfolgreiche Blockbuster verlangen nach literarischen Side-Produkten und in diesem Fall erledigte er eben die Auftragsarbeit. Andererseits aber hat Özdogan doch etwas eigenes geschaffen, denn während der Film vor allem die Liebesgeschichte zwischen dem Referendar (Moritz Bleibtreu) und der Schmuckverkäuferin (Christiane Paul) erzählt, wählt Özdogan für „seine“ Version die Perspektive der Nebenfiguren, die der angebeteten Melek und ihrem Freund Isa, der seinen toten Onkel im Kofferraum von Hamburg in die Türkei bringen muss, damit er zuhause begraben werden kann. Und so wird im Buch das erzählt, was man im Kino nicht sieht. „Sonst wäre es ja langweilig“, sagt der Autor lapidar, aber was „Im Juli“-Regisseur Fatih Akin und Selim Özdogan da geleistet haben, ist definitiv eine der spannendsten Verbindungen, die Film und Literatur seit langem eingegangen sind.
Überhaupt ist der 32jährige Kölner für vieles offen, das kann auch „Pop“ sein. Vor knapp zwei Jahren veröffentlichte der weniger „Tristesse royale“ Flügel der Pop-Literaten um David Wagner die „Wahlverwandtschaften“, eine hervorragend aufgemachte Anthologie mit Telefongeschichten. Leider stand nichts drin. Zu ausgewählten Telefonnummern sollten persönliche Geschichten erzählt werden, doch außer Namen und Nummern war da nichts. Einzig Özdogan hatte etwas zu erzählen: Die Story seiner Schreibinitiation nämlich, wie er für die erste deutsche 0190er-Nummer Sexgeschichten schrieb, 17 Mark das Stück. Ob sie zur Befriedigung taugten, darf bezweifelt werden und wenn doch, „dann war ich einer der wenigen heterosexuellen Männer, die in ihrem Leben mehr Männern als Frauen zum Orgasmus verholfen hatten. Eine fragwürdige Ehre.“ Eine wahre Geschichte übrigens, vor allem aber eine gute. Nebenbei: Während alle Autoren des Sammelbandes fiktive Telefonnummern angaben, verwendete Özdogan seine richtige – auch das gehört zu seinem Verständnis von Schreiben. Abgehakt, weitergemacht.
Inzwischen arbeitet Selim Özdogan an seinem achten Buch und geht, seit sich „tom produkt“ (die Agentur von Wiglaf Droste und Max Goldt) um seine Auftritte kümmert, auf ausgedehnte Lesereisen. Vor einem Monat war er in meiner Hörfunksendung „Die Vorleser“ zu Gast. Er las die anrührende und zugleich brüllend komische „Opfergeschichte“. Der WDR blendete sich aus, „das können wir echt nicht bringen“, meinte der zuständige Redakteur. „Wenn ihr meint“, war alles, was Özdogan dazu sagte. In Deutschland ist es mittlerweile offiziell möglich, Schafe zu schächten, davon zu berichten offenbar noch nicht.
Selim Özdogan wird einfach weitermachen. „Ein gutes Leben ist die beste Rache.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

© jess jochimsen. zuerst erschienen in: badische zeitung

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