Sternstunden der Bedeutungslosigkeit. Über Rocko Schamoni

„Der Dorfpunk ist ein Stadtbewohner geworden“, steht im Klappentext zu Rocko Schamonis neuem Roman, doch wer auf eine Fortsetzung der zum Bestseller avancierten Lebensgeschichte des „Roddy Dangerblood“ wartet, tut dies vergebens. Zum Glück. So leicht macht es sich Schamoni nicht und lässt sämtliche Verweise auf jugendliche Punk-Attitüden und Kleinstadt-Eskapaden außen vor. Ein neues Kapitel beginnt: „Ich heiße Sonntag. Mit Nachnamen. Vorname Michael. [...] Ein Name, der zu dummen Sprüchen förmlich einlädt.“ Die Vergangenheit des Helden ist schnell erzählt: „Einmal die Woche hatte ich Namenstag. Wenn für alle anderen die Welt stillstand, war sie für mich am wenigsten zu ertragen. Wenn nichts passiert, alle Räder ruhen und die Gesellschaft zu Tische sitzt, bekommen die Einsamen, die Ängstlichen, die Hungrigen, die Paranoiden, die Depressiven, die Verlassenen, die, die draußen stehen, Panik. Willkommen am siebenten Tag.“
Sonntag ist ein Slacker, wie er im Buche steht, ein kunsthassender Kunststudent, der sich als Plakatkleber durchschlägt, zu viel trinkt, zu oft neben unbekannten Frauen aufwacht, einer, der nichts mit seinem Leben anzufangen weiß, außer, dass er daran verzweifelt. So gesehen ein lupenreiner Pop-Roman, durchgehend im Präsens gehalten, inklusive des Spannungsbogens: Kriegt er die schöne Nachbarin oder nicht?
Den Unterschied macht das wie: Wie Schamoni seinen Protagonisten durch das Hamburg der späten D-Mark-Tage schlittern lässt, ist schlicht grandios: Man glaubt die Kaputtheit, fühlt den Hass und spürt die panische Einsamkeit auf jeder Seite. Über weite Teile des Buches nimmt Sonntag die Haltung eines Flaneuers ein und seine Beschreibung der Großstadtwelt gehört zum Besten, was man diesbezüglich in den letzten Jahren gelesen hat, sie kann es in puncto Stil mit Wilhelm Genazino und in puncto Wut und Verzweiflung mit dem Heiner Link des „Hungerleider“ durchaus aufnehmen.
Und dann ist da ja noch Schamoni, der Anarchist, der seinen Helden gleich zu Beginn einen Goldfisch verschlucken lässt, mit dem er fortan Selbstgespräche führt, der sich über Wochen mit immer derselben, ausdruckslosen Mine auf die Fotos von japanischen Reisegruppen mogelt und das dann zur kongenialen Kunstperformance aufbläst, dem in seiner Schilderung von Drogen- und Wahnszenarien traumwandlerisch sichere Bilder und umwerfend komische Miniaturen gelingen.
Ansonsten wird viel gevögelt. Nicht, dass Sex oder gar Liebe ein Ausweg aus der Bedeutungslosigkeit des Daseins wären (hier sind sie - neben vielem anderen - oft sogar deren Bedingung), aber sie gehören zum Leben und werden beim Namen genannt: „Das Gästehaus ist unbeheizt. Wir ficken, bis wir einschlafen. Wir haben keine Zeit zum Frieren.“

Vor kurzem hat „King“ Rocko Schamoni eine großartige Platte veröffentlicht und gesagt, es soll seine letzte gewesen sein. Dazu passt der erste Satz seines Romans: „Das ist das Ende.“ Der letzte Satz aber lautet: „Und damit fängt die Geschichte an.“ Ja, bitte.
So traurig das Ende des Musikers Schamoni wäre, solange er weiter solche Bücher schreibt, gibt es Hoffnung. The punk is dead, long live the king!

© jess jochimsen. zuerst erschienen in: badische zeitung

Rocko Schamoni, Sternstunden der Bedeutungslosigkeit, Roman (Dumont, 14,90 Euro)

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