Sommerkätzchen

„Summertime and the livin’ is easy“, verspricht George Gershwin, „fish are jumpin’ and the cotton is high.“ Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Kaum bretzeln die ersten Sonnenstrahlen vom Himmel, werden die Menschen verrückt. Sie verlassen ihre Häuser und Partner, legen sich nackt in die Parks und spielen Back Gammon als wär’s das letzte Mal. „Summertime“ und der Freizeitstress bricht aus: Man muss baden gehen und spazieren gehen und „überhaupt mal wieder was unternehmen“. In Biergärten rumsitzen muss man und den Urlaub planen und Leute in kurzen Hosen anschauen. Und Grillen! Und von allen Seiten hört man: „Easy livin’, mein Freund, entspann dich, es ist Sommer!“
Niemals aber werde ich mich entspannen, solange der Sommer diese miese, kleine, peinliche Begleiterscheinung mit sich bringt, diese Bankrotterklärung des Verstandes, diese Beleidigung der Sinne... Ich rede von Auto-Sonnenblenden.
Sie wissen schon, diese Dinger, welche vermittels Gummipfropfen arglos an Autoscheiben geklebt werden, um den Insassen Schatten zu spenden. Comic-Figuren sind da gern mal drauf oder eine Werbung von Papas Büro oder - und das ist der Untergang - so süße kleine Kätzchen. Süße kleine Kätzchen!
Dass das Auto ein einziger fahrender Fetisch ist, war mir immer schon klar. Alles habe ich akzeptiert: die gehäkelte Klorolle auf der Ablage, den Duftbaum am Innenspiegel, den peinlichen Neon-Fleck. Aber Katzen in der Scheibe - das ist das Ende! „Die Katze unter dem heißen Blechdach!“
Menschen, die süße-kleine-Kätzchen-Sonnenblenden an die Scheiben pappen, tragen auch Socken in Sandalen, schicken Kettenbriefe weiter und malen über ihre "i"s kleine Kreise. Abgesehen davon gehört eine Katze ins Körbchen oder in den Wald, im schlimmsten Fall gehört sie unter ein Auto, aber niemals daran!
Süße-kleine-Kätzchen-Sonnenblenden - unfassbar, das ist C-Klasse!
„Aber, aber“, höre ich von den besorgten Müttern, die mit ihren Mercedessen und Volvos durch die Innenstädte brausen, „die Kätzchen sind doch voll süß und außerdem total sinnvoll für die Kinder.“
Mein Gott, was haben wir früher nur gemacht? Reihenweise verdorrten Kinder auf dem Rücksitz, qualvoll, nur weil es noch keine gummibepfropften Kätzchen gab, welche den Kleinen das Überleben hätten sichern können.
Ich schreie es in die Welt: Erstens ist Sommer, wenn die Fische springen, zweitens wenn die Baumwolle hoch ist und drittens sind Sonnen-Kätzchen nicht süß, sondern beknackt. Und überhaupt wünsche ich mir das ewige Eis. Zumindest in Deutschland. Dann hat sich’s mit Katzen - und zwar mit allen!

© 2010 jess jochimsen. erschienen in: sommerkätzchen. sonnige katzengeschichten, hrsg. v. jone heer, münchen/zürich 2010 (piper-verlag) --- eine anthologie aus dem seltsamen feld der „katzenliteratur“, allerdings mit guten beiträgen von wunderbaren kollegen wie alex capus, franz hohler, liane dirks, selim özdogan, klaus modick, thommie bayer u.a.)

zurück