die knarren. ein erlebnisbericht

Glaubt man dem Verband „Forum Waffenrecht“, der sich zum Ziel gesetzt hat, den legalen Waffenbesitz in Deutschland zu verteidigen, so ist es hierzulande wesentlich einfacher, sich auf dem Schwarzmarkt eine Waffe zu besorgen als sie legal zu erwerben. Das ist bestimmt richtig. Seit ich aber meine Zeit damit verbringe, in der Warteschleife des Freiburger Rathauses zu hängen, weiß ich: Am Allerschwierigsten ist es, eine Waffe wieder loszuwerden.
Genaugenommen zwei. Eine riesige Luftpistole und eine Walther PPK, ebenfalls auf Luftdruckbasis, aber den Feilspuren am Lauf und der beiliegenden Munition nach zu urteilen, hat mein Ingenieursvater damit nicht nur Signalpatronen abgefeuert. Besitzen darf ich beide Waffen nicht, so viel steht fest.
„Die Person, die Sie erreichen wollten, ist momentan nicht am Platz“, sagt die Computerstimme des Amtes für öffentliche Ordnung, „wir stellen Sie zurück ins Vermittlungscenter.“ Dort bittet mich eine andere Computerstimme um Geduld, weil alle Anschlüsse belegt seien. Ich warte. In der einen Hand den Telefonhörer, in der anderen die Walther. Ich ziele auf den Spiegel und spiele Robert de Niro: „Du laberst mich an?“
Nach zwei Minuten muss ich das Telefon mit der Pistole vertauschen, mir tut der rechte Arm weh, weil die Knarre so schwer ist. Eine Stunde und etliche Telefonate später erfahre ich, dass in der Waffenbehörde alle im Urlaub seien, bis auf eine Frau, welche sich allerdings in einer Besprechung befände. „Bitte rufen Sie später wieder an.“
Ich stecke die Pistole, so wie ich es aus unzähligen Filmen kenne, in den hinteren Hosenbund. Sie rutscht in die Unterhose, ich führe einen panischen Veitstanz auf. James Bond wäre das nicht passiert.
Von der Existenz der Walther PPK weiß ich erst seit ein paar Tagen. Gemeinsam mit meinem dementem Vater habe ich den elterlichen Keller in München entrümpelt. Auf einmal hält er die Waffe in Händen, guckt selbstversunken in den Lauf, drückt ab. Das trockene Klicken verfolgt mich seither verlässlich im Traum.
An die Luftpistole erinnere ich mich. 1978 hat mein Vater damit eine Maus erschossen. Weil der Nager zu schlau für herkömmliche Fallen war, kippte mein Vater Speck und Käse in einen langen Anglergummistiefel, legte ihn flach auf den Boden und wartete, bis das Tier nach einigem Zögern in den Stiefelschacht kroch. Schnell hob er den Stiefel auf, hielt ihn senkrecht, schüttelte ihn und schoss dann ein paar mal durchs Gummi hindurch in die Ferse. Aus die Maus. Sie tat mir sehr leid. Respekt vor dem bewaffneten Vater bekam ich erst ein Jahr später, als er einen ausgewachsenen Schäferhund, der in unserer Straße von einem Auto angefahren worden war, mit einem einzigen Schuss „erlöste“.
Es ist Sonntag Morgen. Das Vorortviertel meiner Kindheit ist wie ausgestorben. Der Wertstoffhof hat geschlossen, die örtliche Polizeiwache ebenfalls, die öffentlichen Mülleimer sind geleert und sauber. Darf man Waffen überhaupt wegschmeißen? Was passiert mit Munition in einer Schrottpresse? Explodiert sie? Die Gartengeräte habe ich gestern weggeschmissen, vergraben fällt also aus. Überhaupt habe ich in den letzten Tagen alles entsorgt, was mir jetzt helfen könnte. Die Eisensäge. Die Kisten mit den Schlössern. Ja, auch den durchlöcherten Gummistiefel.
In den Filmen, die vor meinem inneren Auge ablaufen, werden Tatwaffen stets in ein Gewässer geworfen und erst Jahre später von Spezialtauchern wieder hervorgebracht. Ich fahre zum Fluss. Das Wasser ist klar und wegen der anhaltenden Dürre nur knöcheltief. Ich verfluche den Klimawandel und will nur noch heim. Meinen Plan, dem Ferienverkehr zu entgehen und über die Schweizer Seite des Bodensees zu fahren, verwerfe ich kurz vor der Grenze. Mit meiner Fracht kontrolliert zu werden, ist vielleicht keine so gute Idee.
Es ist ruhig und friedlich in Freiburg. Trotzdem finde ich keinen Schlaf. Und das liegt nicht an der Hitze. Die halbe Nacht durchkämme ich die Wohnung und suche nach einem geeigneten Versteck. Ich will keine Waffen im Haus! Ich räume sie von einem Ort zum anderen, wickele sie in immer dickere Decken. Die Kinder sind im Ferienlager, ich verstecke die Knarren vor mir selbst.
Am Montag morgen kann ich nicht mehr und rufe in der nächstgelegenen Poizeidienststelle an. Mein Freund und Helfer soll bitte die Pistolen abholen. Ich wisse aber schon, dass die Frist für die Waffenamnestie abgelaufen sei, sagt der Polizist. Ich bejahe. Bis zum ersten Juli durfte man illegale Waffen straffrei abgeben. Hätte ich den Keller doch nur vor vier Wochen entrümpelt! „Was mache ich denn jetzt?“, frage ich. „Ja, blöd“, sagt er. „Hören Sie“, sage ich, „ich habe hier zwei riesige Wummen und ich will die nicht! Die machen mir Angst! Die eine ist eine Walther PPK!“
Der Polizist wiederholt, dass das blöd sei, und nein, vorbeibringen bräuchte ich die Waffen auch nicht, weil die Frist eben abgelaufen sei. Außerdem sei er gar nicht zuständig. Halb aus Panik und halb im Scherz frage ich, ob die Polizei wenigestens dann käme, wenn ich mit der Knarre jetzt in die Bank gehen würde? Seine Antwort: Also er mache jetzt Mittag. Seine letzten Worte lauten: „Waffenbehörde. Rathaus. Vermittlung. Durchstellen lassen.“
Kurz bevor ich mich wegen der Warteschleifenmusik erschieße, erreiche ich endlich die einzig nicht urlaubende, zuständige Dame und erzähle ihr meine Geschichte. Sie erklärt mir, dass die Frist für die Waffenamnestie abgelaufen sei und dass ich die Pistolen auf gar keinen Fall nach Freiburg hätte bringen dürfen. Das sei strengstens verboten, denn zuständig sei die Behörde in München. Weil ich zu weinen beginne, vereinbaren wir trotzdem einen Termin. Ich darf sogar mit dem Rad kommen, solle die Waffen aber bitte so verpacken, dass man nicht erkennen könne, dass es Waffen seien. Ich wäre nicht darauf gekommen.
Die Frau auf dem Amt ist sehr nett. Die Waffen sind tatsächlich illegal, aber strafrechtliche Folgen habe ich nicht zu befürchten. Wir einigen uns auf eine etwas andere Geschichte, wie die Waffen hierher gelangt sind, ich unterschreibe eine Besitzabtretungserklärung und darf gehen. Dass ich vor dreißig Minuten mit zwei Pistolen und einem Haufen Munition im Rucksack in der Sparkassenfiliale Geld gezogen und mir anschließend an der Tankstelle ein Eis gekauft habe, erzähle ich nicht. Ich hatte einfach nicht widerstehen können. Trotzdem fühle ich mich jetzt bedeutend besser.

© j.jochimsen. zuerst erschienen in: Badische Zeitung, 10.8. 2018.