Der perfekte Song. Über Benedict Wells

„Ein Roman über die Musik, die Liebe und das Leben - schräg, witzig, weise und berührend. Das Debut eines dreiundzwanzigjährigen Autors - eine Entdeckung!“
Diese beiden Sätze schreibt der Diogenes Verlag auf das Cover von Benedict Wells’ Buch „Becks letzter Sommer“ und zum ersten Mal seit gefühlt zehntausend Neuerscheinungen muss man einem Klappentext voll und ganz zustimmen.
Mal abgesehen davon, dass zu viele Bindestriche eine Zumutung sind und das Adjektiv „schräg“ schon längst in die Werbetonne gekloppt gehört; und über „das Leben“ und „die Liebe“ schreiben eh alle.
Und was bitte soll der Hinweis auf das Alter des Autors? Weil „das Debut eines Zweiundfünzigjährigen“ oder „der Erstling einer Achtundreißjährigen“ bescheuert klingen? Eben. Ist „dreiundzwanzig“ nun eine Entschuldigung dafür, dass hier einer wirklich witzig schreiben kann? Oder muss man die Jugendlichkeit lobend erwähnen, weil hier jemand tatsächlich berührend und weise erzählt?
Egal. Es ist die Geschichte, die zählt, und diese hier ist grandios: Der von Liebe und Job gebeutelte Lehrer Robert Beck wittert in seinem Schüler Rauli Kantas, einem musikalischen Wunderkind aus Litauen, die letzte Chance auf die Verwirklichung seiner verschüttet geglaubten Rock’n’Roll-Träume. Und schon geht die Reise los. Es treten auf: Unterforderte Schüler, fertige Lehrer, zerrüttete Familien, zwei schöne Frauen, ein drogensüchtiger Philosoph, der Autor selber und Bob Dylan als Schutzengel. 450 Seiten lang wird geliebt, gelacht, geschossen, mit dem Auto von München nach Istanbul gefahren, verraten, gestorben und vor allem gesucht.
Von „überfrachtet“ und „typischen Erstlingsfehlern“ werden einige Rezensenten sprechen. Falsch! Benedict Wells geht es um nichts weniger als das große Ganze: Die Suche nach einem würdigen Leben und dem perfekten Song. Dass dabei ein wunderbares, ehrliches Buch herausgekommen ist, mit souveräner Figurenführung, Dutzenden von guten Einfällen und einem Spannungsbogen, der es in sich hat, kann nicht oft genug wiederholt werden.
Andere Rezensenten werden den üblichen Debut-Kritik-Satz fallen lassen: „Von diesem Autor wird man noch viel hören.“ Wieder falsch. Man hat bereits viel von ihm gehört. „Becks letzter Sommer“ ist ein Wurf!
Ich gäbe viel darum, wäre mir ein solcher Erstling gelungen. Oder hätte ich nur eine der Melodien gefunden, von denen dieses Buch überreich ist.

© jess jochimsen. zuerst erschienen in: musikexpress und badische zeitung

Benedict Wells, Becks letzter Sommer, Roman (Diogenes)

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