Leseprobe FLASCHENDREHEN, "Klippschliefer und Meuchelpuffer"

Manchmal habe ich so Phasen. Da denke ich über Couchgarnituren nach oder sage so Sachen wie: "Ach, 'ne neue Espressomaschine wäre auch nicht schlecht. Oder ein Soda-Streamer. Dann bräuchte ich keine Sprudelkisten mehr zu schleppen."
Im selben Moment denke ich aber: Mann, wie spießig. Und weil ich das nicht sein will, kaufe ich keinen Soda-Streamer, sondern denke mir, dass ich mal mehr über mich nachdenken sollte. Und mit meiner Vergangenheit sollte ich ins Reine kommen, denke ich. Und mich von Gewalttaten in der Jugend distanzieren. Du solltest besser mal was machen, denke ich, was Politisches. Ich mache dann aber lieber was anderes.
Tierfilme gucken zum Beispiel. Am besten alte, in denen zehn Minuten lang ein Hase ungeschnitten durchs Bild hoppelt. Und der Sprecher sagt: "Ein Hase."
Und fünf Minuten später: "Er hoppelt."
Mein Lieblingstier ist der Klippschliefer. In Filmen über den Klippschliefer sagen die Sprecher meistens gar nichts, weil es kaum etwas zu sagen gibt. Klippschliefer leben in der Wüste und liegen auf Steinen rum. Sonst tun sie eher nichts. Man geht aber davon aus, dass es sehr alberne Tiere sind, weil sie so lustig rumliegen. Sie sonnen sich rücklings auf einem Stein, halten ihre Pfoten tuntig an den Kopf und schnarchen provozierend. Mehr ist nicht. Oder man weiß es nicht. Der alte Brehm weiß noch nicht mal, ob der Klippschliefer "zur Gattung der Elefantentiere oder zu den Paarhufern" gehört. Das finde wiederum ich komisch, weil der Klippschliefer ungefähr so groß ist wie ein Hamster und auch so aussieht.
Am besten aber gefällt mir das Wort. Ich habe eine Schwäche für schöne Wörter, und "Klippschliefer" ist so ein Wort. Oder auch "Meuchelpuffer". Letzteres mag ich fast noch lieber, obwohl es faschistischen Ursprungs ist. Dafür schäme ich mich.
Man kennt doch diese immer wiederkehrenden Bestrebungen, die bösen Anglizismen aus der deutschen Sprache zu tilgen. Das gab's früher schon, und die Sprachschergen der Nazis schlugen unter anderem vor, das angelsächsische Wort "Revolver" durch das germanische "Meuchelpuffer" zu ersetzen. Es war nicht alles schlecht unter Hitler, denke ich. Dafür schäme ich mich besonders. Trotzdem liebe ich ich das Wort. "Meuchelpuffer" ist niedlich, fast schon zart, aber auch angemessen brutal, wie es sich für eine Waffe gehört.
Ich weiß noch, wie wir uns als Kinder immer endlos darüber stritten, welche Pistolen nun besser wären, die mit der teuren Munition, acht Patronen im Plastikring, oder die billigeren, mit hundert Schuß auf dem zur Schnecke gewickelten Papierband. Erstere waren richtig laut, sie hatten eine echte Trommel und einen Hahn zum Spannen, aber eben auch den Nachteil, dass man oft nachladen musste. Das war das Plus der billigeren Waffe: Hundertmal Schießen ist für Kinder eine Ewigkeit. Darüber hinaus ließ sich die Papiermunition zur Not auch ohne Pistole abfeuern, indem man einfach mit einem Stein darauf schlug. Dann machte es "piff" und wieder "piff" - "Meuchelpiffer" wäre eigentlich das korrekte Wort.
Ich erinnere mich daran, wie wir im Fasching mal einen Supermarkt überfallen haben. Schwer bewaffnet stürmten wir das Geschäft und verlangten die Tageseinnahmen sowie Schokolade. Jahre vor Tarantino sagte Erwin Moser mit eiskalter Miene: "Können Sie auf neun Millimeter herausgeben?"
Die Kassiererin machte sich fast in die Hose vor Lachen, was ein Fehler war, denn während Erwin und ich sie ablenkten, räumte Harald Meyer das Süßigkeitenregal leer.
Von dieser Gewalttat müsstest du dich endlich mal distanzieren, denke ich, obwohl ich auch einen bisschen stolz bin. Früher warst du wild, du Spießer! Vielleicht sollte ich wieder mal einen Supermarkt überfallen? Am besten den um die Ecke, den sie umgebaut haben, der hätte es nicht besser verdient. Bis letztes Jahr war es einfach peinlich, jemandem mit dem Einkaufswagen in die Hacken zu fahren, jetzt gehört es zum Programm, so eng sind die Gassen. Und man findet nichts. Nach neuesten Feng-Shui-Methoden umgestaltet, stehen die Tütensuppen beim Klopapier und das Haarspray bei den Erbsendosen. Der neue Supermarkt ist schuld, dass ich mir nun doch einen Soda-Streamer kaufen muss, weil ich die Sprudelkisten gar nicht mehr finde. Trutzburggleich thronen sie in der Mitte des Ladenlabyrinths und es dauert Stunden, bis man rankommt. Wahrscheinlich würde ich bei meinem Überfall nichts erbeuten, sondern die Verkäuferinnen mit vorgehaltenem Meuchelpuffer zwingen, alles wieder umzuräumen.
Natürlich tue ich nichts dergleichen, sondern denke, dass früher einfach alles besser war. Und dann denke ich, dass ich eigentlich gerne ein Klippschliefer wäre. Ich würde rumliegen und mir überlegen, ob ich mal ein Elefant oder ein Pferd werden will, wenn ich groß bin.
"Ach, 'ne neue Espressomaschine wäre auch nicht schlecht."

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